Das Loferer Fräulein
Bei Lofer, an der Grenze zwischen Tirol und Salzburg, ist im Gebirge eine Höhle, in welcher ein Fräulein wohnt, welches reiche Schätze besitzt und zu erlösen wäre, aber nur wenige gelangten in ihre Nähe; gewöhnlich erblickten die Eintretenden ein unheimliches Wasser, in dessen tiefen Schlünden sie untersinken müßten und mit Leib und Seele verloren wären. Da war im Dorfe ein armes Ehepaar, welches zwei Kinder hatte, die in Gesellschaft eines alten Bettlers in der Nachbarschaft herumgehen mußten, zu betteln. Einst führte der Bettler die Kinder zum "Loferer Loch" - so wird nämlich die obenerwähnte Höhle genannt - und sagte, hier sollen sie hineingehen, sie würden da drinnen viel, recht viel bekommen, er selbst könne nicht hineinkommen, weil er alles voll Wasser sehe.
Aber um Mitternacht erweckte sie Flammengeprassel, sie sprangen empor und sahen das Bett der Jungfrau liebterloh brennen und sahen, wie sie sich in den Flammen wälzte, die von fürchterlichen Geistergestalten neu angefacht wurden, wenn sie zu verlöschen schienen, und sahen des Schrecklichen mehr und mehr, und so viel, daß sie von ihren Betten hinaussprangen und ohnmächtig zu Boden sanken. Der goldene Morgenstrahl fiel schon lange ins Zimmer, als die zwei Kinder aufwachten, und das schöne Bett wie eh und vor, und alles im Zimmer so rein und ohne Brandzeichen fanden, daß sie gar nicht wußten, wie ihnen geschah. Und als die neben ihnen stehende Jungfrau in der gleichen Schönheit und Milde mit ihnen sprach, da hätten sie alles für einen bösen Traum gehalten, wenn sie dieselbe nicht belehrt hätte, daß sie in jeder Nacht eine solche Pein leiden müsse, von welcher sie durch die unschuldigen Kinder die Erlösung hoffte.
Die Jungfrau füllte ihre Mehlsäcklein mit Goldstücken und befahl ihnen, nun heimzugehen, dies den Eltern zu bringen und davon Almosen zu geben: nur dem Manne, dem alten Bettler, der sie begleitet habe und ein großer Bösewicht sei, dem sollten sie keinen Pfennig davon mitteilen - so befahl die Jungfrau. "Ihr dürft auch nicht beim Eingang hinaus, wo ihr hereingekommen seid" - sagte sie - "der böse Bettler paßt dort auf und würde euch das Gold abnehmen und euch töten. Folgt meinem Befehl und kommt in dreimal sieben Tagen wieder her, dann wollen wir über das Erlösungswerk mehr sprechen." Sprach's und führte die Kinder durch einen verborgenen Gang' vor die Höhle hinaus, und diese liefen eilend nach der Heimat. Im Bettlerhause war nun alles anders geworden; die Zimmer neu eingerichtet, Speck im Rauchfang und Schmalz in der Küche genug und Freude überall. Auch die Armen wurden gut bedacht, nur der böse Bettler nicht.
Der wußte aber so bitterlich zu weinen ob dem Undank, da er den Kindern die Glücksquelle gezeigt, daß die Kinder gerührt wurden und die Eltern nicht minder und ihm eine ansehnliche Summe vom Golde der Jungfrau schenkten. Nach dreimal sieben Tagen gingen die Kinder in die Höhle; doch wie sie einige Schritte vorwärts schlichen, fanden sie alles voll Wasser; und eine höllische Lache erscholl vom bösen Bettler, der beim Eingang stand, der etwas mehr wußte als andere Leute und der sagte, daß es mit der Erlösung nun alle sei, weil sie dem ersten Schritte dazu, "dem Gehorsam", nicht entsprochen und gegen den Auftrag der Geberin ihm ihr Gold geschenkt hätten.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 9
Unter dem angeführten Link gibt es auch eine Hörversion auf YOUTUBE aus dem Hörbuch Sagen aus Österreich